Was sollen denn die Kinder denken….
(ein Redebeitrag aus der Anwohner_innen Initiative Balduintreppe auf der Demonstration am 28.4.2018 gegen die Polizeirepression in St. Pauli )
Kein Kind in Hamburg muß zur Balduintreppe fahren um an Cannabis zu kommen. Wer glaubt, das Kinder durch eine Ansprache an der Balduintreppe der Drogensucht verfallen, sollte möglichst rasch von hier weg ziehen, denn mit einer derart naiven Einstellung in Sachen „Drogen“ ist es fahrlässig hier ein Kind groß zu ziehen.
Spätestens in der Pubertät sollte mensch mit den Kindern über den qualifizierten Konsum von Genußmitteln aller Art wie z.B. Alkohol (der statistisch gesehen gefährlichsten Droge) reden. Sollte die Kinder dabei begleiten wenn sie Grenzen austesten, im Gespräch darüber sein, welche Unlustzustände sie mit welchem Konsum zu begegnen suchen und welche Tücken und Chancen darin liegen.
Pädagogisch gefährlich ist es hingegen, den Konsum zu tabuisieren und nicht im Gespräch mit den eigenen Kindern zu bleiben, wenn mal was schief geht.
Aber eigendlich geht es hier, geht es bei der Belagerung von St.Pauli Süd nicht um Drogen. Es geht hier um Rassismus, und darum wie er das Leben von Menschen prägt, wie er gelebt wird, und wie er sich reproduziert.
Und an dieser Stelle brechen viele Gespräche die ich in der Nachbarschaft führe ab. Sobald das R-Wort in den Mund genommen wird ist der Ofen aus, und das Gespräch zu Ende. Und ich muß ehrlich sagen das macht mich zunehmend wütend.
Wo wir gerade bei den Kindern waren:
Ein Bekannter, der vor ein paar Tagen eine Polizeikontrolle eines jungen Schwarzen Mannes mitbekam, fragte mich: „was sollen denn die Kinder denken ?“
Und genau das geht mir auch durch den Kopf wenn ich die vielen Streifen durchś Viertel patrollieren sehe: „Was sollen denn die Kinder denken?“
Meines jedenfalls sagt mir: „Papa, ich fühle mich so beobachtet, und das ist nicht gut.“ und sie fragt mich: „Papa, wieso müssen immer die Braunen rennen ?“
Was soll ich da sagen, wenn unsere Nachbarn Lamin, Ibrahim und Mohammed rennen müssen?
Ich habe Ihr gesagt, dass die Jungs Sachen verkaufen die verboten sind und ungefähr das mit den Leuten macht, was Alkohol mit den Touristen und Punks macht. Wenn sie groß ist, kann sie das selber ausprobieren, aber ich mache es dann nicht sauber.
Und ich sage Ihr, das die Jungs gerne was anderes arbeiten würden, das sie dafür aber keine Erlaubnis bekommen. Das sie früher Lehrer oder Fischer waren, oder ich gehe mit ihr rüber an die Treppe und wir fragen unsere Nachbarn Lamin, Ibrahim oder Mohammed welchen Beruf sie früher hatten.
Aber was soll ich Antworten auf die Frage warum sie für diesen Job immer rennen müssen, wieso die Polizei ständig da ist und Leute mitnimmt.
Klar, dass was sie tun ist verboten, aber das ist Versicherungsbetrug auch, ohne das deshalb die Hafencity oder Blankenese belagert würden.
Und wie soll ich ihr erklären, dass sich Leute von den jungen Männern so bedroht fühlen, dass sie immer und immer wieder die Polizei rufen.
Was sollen denn die Kinder denken?
Denke ich mir dann und meine befürchtung ist, das die Erzählung in vielen Haushalten eine ganz andere ist. Eine Erzählung von gefährlichen Drogendealern und von einem Problem, einer Bedrohung, die dann aber nicht genauer erklärt wird, und mit der die Kindern dann alleine gelassen werden, und die sie dann mit diffusen Ängsten vor Schwarzen Menschen füllen.
Meine Befürchtung ist, das das alte fatale Schauspiel „wer hat Angst vorm schwarzen Mann“ hinter vielen Fassaden in St. Pauli Süd Tag täglich aufgeführt wird.
Das das, was die Kinder denken und lernen sehr viel mit alten kolonialen Bilderwelten zu tun hat, von den „Fremden“ die gefährlich sind und die Kinder mit Gift töten.
Was sollen denn die Kinder denken?
Hat sich das eigentlich irgendjemand von der Task Force schon mal gefragt? Vermutlich ja, aber hat irgendjemand bei der Polizei mal an die vielen Schwarzen Kinder im Stadtteil gedacht, und was die denken wenn Schwarze Menschen vor der Polizei wegrennen müssen?
Was sollen denn die Kinder denken?
Kinder sind schlau und merken bald, dass die subjektive Sicherheit und die Grundrechte der einen mehr zählen als die anderer. Das die einen als Anwohner gelten und die anderen als Protestler und Dealer obwohl doch alle hier wohnen. Das ein riesiger Aufwand betrieben wird um das subjektive Sicherheitsgefühl der einen zu bedienen und das der anderen in diesen Überlegungen nicht auftaucht.
Ich habe jetzt kein einziges Mal das Wort Rassismus in den Mund genommen, und doch geht es die ganze Zeit darum.
Es geht darum welche Belange in diesem Stadtteil Gewicht haben, wessen Geschichte erzählt wird, wessen Grundrechte eingeschränkt werden und wer rennen muss, ja und auch wer das Problem bekommt seinem Kind zu erklären was da gerade passiert, und das Papa nicht rennen muss (hoffentlich).
Wir sind live dabei wie tagtäglich in St. Pauli rassistische Verhältnisse inszeniert, in Szene gesetzt werden. Und wer Lamin, Ibrahim und Mohammed nicht als Personen und Nachbarn kennt, der oder die lernt schnell: Habe Angst vorm schwarzen Mann!
Wer noch nicht verstanden hat wie rassistsiches Wissen generiert und weiter gegeben wird kann in St.Pauli Süd einen kostenlosen Kurs darin belegen.
Was sollen denn die Kinder denken?
Ein erster Schritt wäre das DIE und WIR zu überwinden, die Nachbarn als solche kennen zu lernen. Am Sonntag gibt es dazu eine Gelegenheit, wir grillen am Yaya Jabbi Circle ab 16°° unter dem Motto: Drogen sind uns Wurst.