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Herrscht Krieg in St. Pauli?

Zunächst unbemerkt, doch jetzt nicht mehr zu übersehen, findet den Medien Zufolge eine „Invasion“ (Mopo 22.4.16) statt, schon hat sich der Gegner „festgesetzt“ (Mopo 21.4.16), jetzt geht der Innensenator „in die Offensive“ (Mopo 21.4.16), der Senat erklärt (Kiez-Dealern) den Krieg. Eilends wird eine Task Force zur Jagd auf die sog. Kiez-Dealer zusammengestellt (ebd.), der „zwei Einsatzzüge rund um die Uhr zur Verfügung stehen“ (Abendblatt 21.4.16). Sollte der Gegner taktisch ausweichen, sei man in der Lage „nachzusetzen“ verlautet der Polizeipräsident, jetzt werde es „ungemütlich“ (Mopo 21.4.16)Das PK 113 analysiert die Problematik, steuert die Kräfte und organisiert Schwerpunkteinsätze (Abendblatt 21.4.16).

Mit dieser martialischen Kriegsmethaphorik inszeniert sich der Hamburger Senat als ein Frontabschnitt im internationalen Krieg gegen die Drogen, des „War on Drugs“. Im Hintergrund schwingen Bilder von „Drogenbaronen“, Militärhubschraubern über Kokafeldern und blutigen Bandenkriegen mit. Die Realität kontrastiert scharf zum oben gezeichneten Bild. De facto stehen zwischen 15 und 30 junge Männer Tag ein Tag aus an der Balduintreppe und fragen Leute wie’s ihnen geht („alles gut?“). Die drastischte Bedrohung besteht also darin sich peinlich berührt von der eigenen Unhöflichkeit wortlos abzuwenden. Darüber hinaus stellt eine größere Gruppe Männer in den aller meisten Situationen eine verunsichernde Situation für vorrübergehende Frauen, gerade bei Dunkelheit. Doch angesichts der vielen Männergruppen auf St. Pauli (Rocker, Junggesellen-Abschiede, Fußballfans usw.) dürfte die Gruppe afrikanischer Männer an der Balduintreppe nicht sonderlich ins Gewicht fallen.

Wer live mitbekommen möchte, was Militarisierung einer gesellschaftlichen Debatte (hier um den Drogenverkauf in St. Pauli) bedeutet, sei herzlich nach St. Pauli Süd eingeladen. Beinahe täglich finden Verfolgungsjagden an der Hafentreppe statt, werden Schwarze Personen von Uniformierten zu Boden geworfen, an Wände gedrückt, in Polizeifahrzeuge gezerrt. Nicht daß sich die „Intensivdealer“ brutal wehren würden. Nach eigener Aussage haben sie daran gar kein Interesse, weil ihnen klar ist, daß sie gegen einen so hochgerüsteten Gegner wie die Hamburger Polizei ohnehin keine Chance haben. Und dennoch gibt es immer wieder die von der Task Force angeführten „Schwerpunkteinsätze“ bei denen dutzende Beamte martialisch aufmarschieren. Militarisiert wird die Sitation dabei allein durch die Polizeikräfte, die sich breitbeinig aufbauen, ihre Fahrzeuge deutlich sichtbar auf die Gehwege parken und in Dreier- und Vierer Streifen patroullieren.

Außenstehenden wird durch die schlichte Präsenz einer solch großen Anzahl an Uniformierten suggeriert, es müsse sich um eine bedrohliche Situation handeln, die den Aufmarsch einer derartigen Anzahl an Uniformierten notwendig macht, um für „Sicherheit“ zu sorgen.

Wir können uns als AnwohnerInnen glücklich schätzen, daß diese Inszenierung der Polizei nicht durch die Verkäufer aufgegriffen wird, dass sich eben keine Spirale der Gewalt in Bewegung setzt, wie sie so viele mittel- und Südamerikanische Gesellschaften zerfrißt.

Der Krieg gegen die Drogen hat allein in Mexiko fast 100.000 Menschen das Leben gekostet und ist, wie Kofi Annan (ehemaliger UN-Generalsekretär) sagt, mitlerweile zu einem „Krieg gegen die Menschen geworden“.

Wer in St. Pauli Süd wohnt, kann kein Interesse daran haben, Teil dieses unmenschlichen Krieges zu werden. Statt dessen wäre eine deutliche verbale Abrüstung in den Medien wünschenswert und die Zurücknahme der polizeilichen Sondermassnahmen gegen den Drogenhandel in St. Pauli Süd ein erster Schritt der Deeskalation.